Interviews|Juni 2025

Charlie Porter über das Entmystifizieren der Mode

Wenn du dich gelegentlich beim Anziehen wunderst, wieso du anziehst, was du anziehst, bist du nicht allein. Der Modejournalist Charlie Porter beschäftigt sich damit, wie unsere Kleidungsstücke und unser Kleidungsstil mit unserer Lebensweise in Verbindung stehen. Sich dessen bewusst zu werden, kann zu wunderbaren Unterhaltungen und Erkenntnissen über uns Menschen führen, sodass wir mehr im Einklang damit sind, wie wir uns der Welt – und uns selbst – gegenüber präsentieren möchten.

Porter gehört zu den renommiertesten Vertretern des Modejournalismus und ist seit über 20 Jahren als Herrenmode-Kritiker für Medien wie The Financial Times, The Guardian, GQ oder i-D tätig. Aufgrund seiner Werke What Artists Wear (2021) und Bring No Clothes: Bloomsbury and the Philosophy of Fashion (2023) wird er als etablierter Autor und Denker auf diesem Gebiet angesehen. Wir wollten wissen, was es mit seiner Faszination für Mode und Kultur auf sich hat und haben einen Tag mit ihm in seiner Wohnung in London verbracht, um mehr über seine Einstellung zum Schreiben über Mode und seinen eigenen Modestil zu erfahren.

 

„Viele Menschen haben Respekt vor der Mode. Ich denke, das liegt daran, dass man dem Begriff zwei unterschiedliche Bedeutungen gibt: Dieses Substantiv steht sowohl für die Modebranche, der sich viele Menschen nicht zugehörig sowie davon isoliert und abgelehnt fühlen, als auch für die Kleidung, die wir alle tragen. Jeder Mensch zieht sich morgens an. Kleidung ist also etwas Alltägliches.

 

Ich finde, wenn man Mode einfach nur als Kleidung definiert, findet man Zugang dazu, weil wir entscheiden können, wie wir unseren Körper kleiden und was wir mit unserer Kleidung aussagen oder aussagen möchten. Die Unsicherheit und Ängstlichkeit der Menschen mit Blick auf die Mode könnten überwunden werden, wenn sie sich ihrer Entscheidungsfreiheit in Bezug auf Kleidung bewusst würden.“

 

Seine Auffassung von seiner Rolle als Kritiker beruht auf dieser Dichotomie der Bedeutungen. Seine Faszination für die Mode lebt er lieber als Beobachter denn als Trendsetter aus. „Wenn ein Autor etwas empfiehlt, geschieht das nicht ganz unvoreingenommen. Er nimmt eine didaktische Rolle ein. Bei der Musik, die ich mag, ist es mir eigentlich egal, wie andere sie finden. Ich weiß, dass ich sie mag, und nur das ist wichtig. Ich beabsichtige nicht, andere dazu zu bringen, das zu mögen, was ich gut finde. Mir ist wichtig, dass sie die Dinge mögen, die sie mögen.“

 

Charlie Porter Interview
Charlie Porter Interview

Es ist die Idee von Mode als interdisziplinäres Thema mit kultureller Bedeutung, die seine Arbeit über die Jahre prägt. „Das Geheimnis des Modejournalismus liegt darin, dass er wie leeres Gerede wirkt. Und tatsächlich kann es das auch sein – oberflächlich betrachtet. Wenn man jedoch will, kann man unter dieser Oberfläche über wirklich bedeutungsvolle Dinge schreiben. Über Mode zu schreiben bedeutet, über die Art und Weise zu schreiben, wie wir Menschen sind. Das betrifft auch, wie wir uns kleiden, denn wir leben unser Leben eingehüllt in Kleidung.“

 

Bei ARKET stellen wir Kleidungsstücke mit großer Sorgfalt her. Während des Gesprächs mit Charlie haben wir es uns nicht entgehen lassen, zu fragen, was genau er an Kleidung schätzt. „Was ich an einem Kleidungsstück schätze, hat mit der Spannung des Kleidungsstücks zu tun. Spannung bedeutet dabei viele verschiedene Dinge. Im Kleidungsstück herrscht Spannung, im Fadenlauf, in der Art und Weise, wie es zusammengenäht und zusammengehalten wird. Ich mag eine Spannung, die in Form von physischem Gleichgewicht auftritt: Das kann das Gewicht eines Stoffes sein, die Art des Stoffes oder die Weise, wie Stoffe zusammengefügt werden. Mit Spannung meine ich aber auch den Schnitt eines Kleidungsstücks, wie es mit anderen Teilen kombiniert wird, wie es sitzt. Das Gesamtbild kann harmonisch sein oder das Kleidungsstück sticht heraus. Diese Spannung ist beabsichtigt: Jemand möchte, dass es genau so ist.“

Charlie Porter Interview
Charlie Porter Interview

Wie gehst du mit dem alltäglichen Anziehen um?

„Ich habe das Glück, dass ich selbstständig bin. Ich muss mich für niemanden auf eine bestimmte Art kleiden. Bei Kleidung ist für mich in erster Linie die Funktion wichtig. Die Funktion von Kleidung kann aber auch Spaß machen. Die Funktion eines bestimmten Kleidungsstücks kann darin bestehen, Freude zu bereiten. Wenn ich es sehe, macht es mich glücklich. Es geht also nicht unbedingt nur darum, wie funktional Kleidung ist, also wie viele Taschen usw. vorhanden sind. So könnte die Funktion eines Kleidungsstücks darin bestehen, mich zu verblüffen, auch wenn es sich um ein Kleidungsstück mit radikalen Ideen handelt. Es könnte sein, dass ich etwas trage, das mich ein wenig wachrüttelt, oder ich etwas tragen möchte, um mich selbst oder andere zu provozieren. Aber auch dabei handelt es sich um Funktionen.“

 

„Aus Mode wird solch ein Mysterium gemacht, obwohl wir eigentlich alle wissen, was wir tun, wir alle wissen, wie es geht. Mode ist absolut kein Mysterium. Und wenn wir uns dies vor Augen führen, können wir unser Verhältnis zu unserer Kleidung komplett ändern. Wir würden uns in unserer Kleidung glücklicher fühlen, unsere Unsicherheit in Bezug auf Kleidung würde sich in Luft auflösen. Wir würden glücklicher sein mit unserem Kleidungsstil und folglich die Art und Weise ändern, wie wir einkaufen. Wenn wir es gelassener angehen und eine neue Beziehung zu Kleidung aufbauen, wenn wir Kleidung besser begreifen, können wir über das Gefühl der Scham hinweggehen und unser Leben mit einer gesunden Beziehung zu Kleidung leben und so eine gesunde Beziehung zu uns selbst führen.“