Interviews|Juni 2025

Arthur Guérin-Boëri über die Suche nach dem Unbekannten

Arthur Guérin-Boëris Karriere ist von Freediving-Rekorden und Momenten der Stille unter der Wasseroberfläche geprägt. Und doch war Performance nie sein stärkster Antrieb. Seinen Weg an die Spitze in der Kategorie Apnoetauchen bahnte er sich durch Intuition, Disziplin und eine tiefe Verbindung mit den Ozeanen. Sein Fokus liegt jetzt verstärkt auf der Umwelt. Dabei versucht er nicht, das Unbekannte zu erobern, sondern es zu verstehen.

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Im Jahr 2022 reiste Arthur Guérin-Boëri nach dreijährigem Training nach Québec, Kanada, mit dem Ziel, einen Weltrekord im Apnoetauchen unter Eis ohne Neoprenanzug aufzustellen. Das schaffte er auch: 2 Minuten und 27 Sekunden lang schwamm er 105 Meter horizontal in 0,7 °C kaltem Wasser, während er den Atem anhielt. Diese Leistung kennzeichnete den Höhepunkt einer erfolgreichen Freediving-Karriere, die 2011 im Alter von 26 Jahren begonnen hatte. Trotz seiner umfassenden Erfahrung in diesem Sport war diese Herausforderung beispiellos.

 

„Vor dem Versuch hatte ich drei Jahre lang mit Angst zu kämpfen. Ich war mir nicht sicher, wie mein Körper die extremen körperlichen Auswirkungen des Luftanhaltens in wortwörtlich eiskaltem Wasser verkraften würde. Ich habe beobachtet, wie mein Körper auf Kälte reagiert und wie ich das Risiko und die Angst verringern kann. Und doch war die Angst immer da, egal, was ich tat“, schildert Arthur.

 

„Vor dem Tauchgang habe ich mich zwei Stunden lang vorbereitet, auch um die Angst zu reduzieren. Doch erst 30 Sekunden vor dem Start habe ich für mich beschlossen, das Risiko als Teil dieses Vorhabens zu akzeptieren. Normalerweise bin ich rationaler, aber dieses Mal habe ich mich mit etwas verbunden gefühlt, das mich überstieg. Ich war hoch konzentriert und akzeptierte einfach, dass das Risiko Teil des Ganzen ist und es vielleicht sehr schlimm für mich ausgehen könnte. Ich habe mich damit abgefunden. Und daraufhin verschwand die Angst.

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Arthur wuchs mit einer tiefen Leidenschaft für die Musik auf und wurde später Musikproduzent in Paris. Seine frühen Zwanziger verbrachte er damit, aus seiner Liebe zur Musik eine Karriere aufzubauen. In dieser stressigen Zeit suchte er Ruhe im Wasser. Die Verbindung, die er zu diesem Element spürte, war für ihn nichts Neues, denn schon seit seiner Kindheit bot es ihm einen Zufluchtsort. Der rasante Erfolg im Freediving kam ganz überraschend. Er hätte nie gedacht, dass daraus sein Job werden würde.

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Luc Bessons Film „Im Rausch der Tiefe“ hinterließ einen bleibenden Eindruck bei ihm und schuf eine Verbindung zum Meer, die ihn sein Leben lang begleiten sollte. Was er im Film sah, entsprach seinen ersten Erfahrungen unter Wasser, an die er sich noch gut erinnert. „Ich finde, Luc Besson hat das Gefühl beim Apnoetauchen perfekt eingefangen. Unter der Wasseroberfläche, im Meer, fühlte ich mich sehr wohl. Ich kapselte mich von der Außenwelt ab und konzentrierte mich auf meine Emotionen und Empfindungen in dieser Schwerelosigkeit, die wir unter Wasser spüren. Dieses Gefühl begleitete mich durch meine Teenagerjahre. Allmählich wurde der Ruf des Wassers immer lauter. Ich musste zurück ins Wasser.“

 

Apnoetauchen gibt es, seit Menschen in den Meeren und Ozeanen nach Dingen suchen– Fische, Perlen, Gold. Beim Erforschen und Suchen den Atem anzuhalten, war schon immer eng mit dem Überleben verbunden. Auf womöglich ganz ähnliche Weise, oder auch nicht, bietet es Arthur eine Möglichkeit, den Fokus zu verlagern und nach innen zu schauen, die eigenen Grenzen zu überschreiten und zu erkunden. Grenzen sind für ihn der Schlüssel zum professionellen Apnoetauchen.

 

„Wenn man den Atem anhält, steigt der CO2-Gehalt, weil man nicht ausatmet, was den Drang zu atmen auslöst, während der Sauerstoffgehalt sinkt, weil man nicht einatmet. Das Unbehagen, das man bei einem steigenden CO2-Gehalt empfindet, ist nicht gefährlich, aber wenn der Sauerstoffgehalt zu stark sinkt, kann dies zu einem Blackout führen– was unter Wasser gefährlich sein könnte. Deshalb ist es wichtig, niemals alleine zu tauchen. Der Mensch ist gut gemacht: Das empfundene Unbehagen bei einem steigenden CO2-Gehalt löst den Drang zu atmen aus, lange bevor der Sauerstoffgehalt in den kritischen Bereich sinkt. Die Aufgabe des Freedivers ist es, den Bereich zwischen dem aufkommenden Drang zu atmen und dem tatsächlichen physiologischen Bedürfnis zu atmen, dem Blackout, auszuloten, ohne die Grenze zu überschreiten.

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Nizza in Südfrankreich ist seit Jahrzehnten ein Zentrum der Freediving-Szene. Arthur Guérin-Boëri zog vor einigen Jahren dorthin, angetrieben von seiner Leidenschaft, seinem Job und der Suche nach einem ruhigeren Leben als im hektischen Paris. „Ich wollte unbedingt den Horizont sehen. Das stärkt die Achtsamkeit in mir. Ich bin in Paris aufgewachsen und dort sieht man nie den Horizont. Es gibt nur Straßen, Boulevards und Alleen, die von Gebäuden gesäumt sind. Und dann ist da noch die Farbe, das Blau. Der Himmel und das Meer sind hier sehr blau. Für mich ist das sehr wichtig.“

 

Während seiner gesamten Karriere als Apnoe-Taucher lag sein Fokus auf Zeitmarken, Weltrekorden und persönlichen Bestleistungen– das Ergebnis konsequenten Trainings, harter Arbeit und letztlich der Bereitschaft, sich selbst aus der Komfortzone zu locken. Doch er gibt zu, dass der Auslöser – der Beitritt in einen örtlichen Schwimmverein – genauso entscheidend war wie alle darauffolgenden Schritte. Damit fasste er erstmals die Entscheidung, sich der Angst vor etwas Unbekanntem zu stellen.

 

„Du kannst dich dafür entscheiden, in deiner Komfortzone zu bleiben, und das ist auch okay. Es ist sehr schwer, diesen Schritt ins Unbekannte zu wagen, aber wenn du ihn einmal getan hast, wird daraus nach einer gewissen Zeit eine Notwendigkeit, ein Drang.“

 

Nach Jahren unter der Oberfläche der Ozeane dieser Welt verfolgt Arthur nun eine neue Mission: Er will sich für den Meeresschutz engagieren. „Ich bin kein Experte. Ich mag diese Arroganz nicht. Ich lerne lieber. Ich erforsche, lerne dazu und teile dann mein Wissen. Meine Vision ist nur eine Vision. Sie entspricht nicht der Wahrheit. Genau das gefällt mir am Lernen: Die Welt um mich herum verstehen zu können.“

 

Hierfür arbeitet er an einer Dokumentarserie, in der er die Auswirkungen globaler Umweltverschmutzung und des Klimawandels auf unsere Gewässer und die von ihnen abhängigen Gemeinschaften untersucht. Was ihn antreibt, ist die ständige Suche nach dem Unbekannten. Ob es das damit verbundene Mysterium oder pure Neugier ist, hängt von der Perspektive, dem Kontext und dem Moment ab. Er ist Weltmeister im Freediving, Musikproduzent – und auch Unternehmer, Fernsehmoderator, Motivationsredner und Dokumentarfilmer. Er selbst sieht sich jedoch lieber als Träumer, Lernender und vor allem als Autor seines eigenen Lebens.

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